Das Überraschende am Wahlergebnis in den deutschen Bundesländern Thüringen und Sachsen ist weniger das Ergebnis, sondern vielmehr die Attitüde der Überraschung. Als hätte es seit Monaten einen vernünftigen Grund gegeben, warum es anders hätte kommen sollen.
Mit einer Ausnahme: Das Bündnis Sahra Wagenknecht – BSW – wurde erst im Januar dieses Jahres gegründet. Wenn man so tut, als hätte es das BSW am Wahltag nicht gegeben, und die Stimmen „übern Daumen“ aufteilt, dann wäre immer noch die laut BRD-Verfassungsschutz rechtsextreme AfD erschreckend stark vertreten. Es lässt sich aber vermuten, dass sich die Regierungsbildung erheblich praktikabler dargestellt hätte.
Eine unzulässige „Was wäre, wenn?“-Überlegung? Ja und nein. Sinn des Gedankenexperiments ist die Frage, ob die rechtsextremen Parteien in der BRD, in Österreich, in Europa das Potenzial zu einer Machtübernahme haben.
Italien macht das Bild noch bunter. Es wird wenig Widerspruch geben, Salvini den Rechtsrechten zuzuordnen, die Neofaschisten unter Giorgia Meloni verlangen vor allem durch ihre europapolitische Positionierung wiederum anders angelegte Differenzierung.
In diesem vielgestaltigen „rechten Haufen“ fällt es schon einmal schwer, sinnvolle Fragestellungen zu entwickeln.
Darf man – das BSW einbezogen – von einem Rechtsruck bei den jüngsten Wahlen in Deutschland sprechen? Das ist zweifellos angebracht, wenn es um die Erfolge der AfD geht. Die Wagenknecht-Partei als rechtsextrem einzuordnen, fällt vor allem auch deshalb schwer, weil die Parteigründerin glaubhafte Distanz zum Nationalsozialismus alter und neuer Prägungen behauptet.
Ein anderer Aspekt schließt allerdings eine auf den ersten Blick nicht zu vermutende Klammer um die Etablierung rechtsrechter Bewegungen in Europa: die Nähe zu Wladimir Putin – auch hier wieder ausgenommen Giorgia Meloni, die sich bisher als verlässlich atlantisch orientierte Verbündete gezeigt hat und auch im Europäischen Parlament in Strasbourg im EKR Abstand zum Rechtsblock ID zeigt.
Ganz im Gegensatz zur österreichischen Freiheitlichen Partei unter Herbert Kickl, die der AfD zu ihren jüngsten Erfolgen gratuliert, die „Identitären“ als eine NGO engagierter junger Leute abwiegelt und mit dem Gedanken liebäugelt, als „Volkskanzler“ ein Gegengewicht zum Gezänk im „System der Altparteien“ darzustellen.
Die beliebte Frage zur Entstehung des „Dritten Reiches“ unter Adolf Hitler lautet: „Wie konnte es dazu kommen?“
Die kurze Antwort lautet: Die NSDAP wurde demokratisch gewählt. Bei der Reichstagswahl im Dezember 1932 erreichte die NSDAP 33,1 % der Stimmen, dem vorausgegangen waren blutige Wahlkämpfe und das Unvermögen der Linken wie der Zentrumsparteien, sich auf ein parlamentarisches Gegengewicht zu einigen.
Die längere Antwort – nein, die längeren Antworten wurden seither in unzähiigen Publikationen versucht. Seither sind gerade einmal hundert Jahre vergangen, wenn man das Ende des I. Weltkriegs und den Übergang der Monarchien in Berlin und Wien als Ausgangspunkt nimmt.
Die einfachen, alles erklärenden Antworten legen sich nur die Populisten zurecht, die Demagogen und Parolenschmiede (Die Werbeagentur, an der Herbert Kickl beteiligt war oder ist, die einen sagen so, die anderen sagen so, hieß „Ideen.Schmiede“).
Hilfreiche, klärende Antworten ergeben sich aus genau fokussierten Fragestellungen. Antworten aus dem dicht besiedelten Teich sozialer und politischer, oft genug chaotisch strukturierter Systeme. Was oft genug ein Hinweis auf die Lebensnähe der jeweiligen Fragestellung ist. Komplexität ist immer dabei. Mehr davon in den kommenden Ausgaben des „Schreibzeugs“.
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