Steirergrenzen

Mario Kunasek, Landeshauptmann der Steiermark, versteht die Welt nicht mehr. Wegen einer so unbedeutenden Kleinigkeit, wie Landesgrenzen von gestern in den Verfassungsrang zu erheben, machen die Slowenen so viel Wind? Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wenn die Sache so nebbich ist, warum will Kunasek das in der Landesverfassung verankern?

Man könnte Spanien als Vorbild heranziehen, das für seine Hymne auf einen Text verzichtet – und damit geschickt dem Problem begegnet, die Gefühle von Basken, Kataloniern, Andalusiern & Co. textlich unter eine Krone bringen zu müssen. Auch andere europäische Staaten verzichten darauf, ihre musikalische Signation mit verbalem Patriotismus zu hinterlegen.

Ich erinnere mich an die Begeisterung, mit der anno 2004 der EU-Beitritt Sloweniens gefeiert wurde. Mitten auf einer Wiese bei Sveti Duh im südsteirischen Grenzland entdeckte ich beim Wandern ein großes Plakat mit den Europa-Sternen, dort, wo noch ein gutes Jahrzehnt zuvor Slowenien um seine Unabhängigkeit gekämpft hatte. Der Schlagbaum an der Landesgrenze war hochgeklappt; mit einem mulmigen Gefühl spazierte ich über die grüne Grenze. Wo noch vor zwei Jahrzehnten jugoslawische Grenzer fahrlässige Spaziergänger festgenommen und nach Maribor zur Befragung gebracht hatten, war über Nacht der kleine Grenzverkehr unkomplizierte Realität geworden.

Freilich spukt nach wie vor in geschichtsrevisionistischen Kreisen rund um einschlägige Studentenverbindungen das Gespenst einer deutschen Nation, die sich an abenteuerlichen Konstrukten von Volkszugehörigkeiten orientiert, ganz ähnlich wie Putin dekretiert, wer ein Russe sei, bestimme er.

Der aktuelle Text der steirischen Landeshymne stammt vom Grazer Buchhändler Jakob Dirnböck (1809 bis 1861), die Melodie komponierte der Grazer Domorganist Ludwig Carl Seydler (1810 bis 1888). Die Hymne im Dreivierteltakt – also als Marschmusik ungeeignet – wurde europaweit zum Schlager hymnischer Landschaftsmalerei, wobei das poetische Schema erhalten blieb und lediglich die geografischen Zuschreibungen alle nationalen Grenzen überschritten.

„Hoch am Ötztal drob’n, wo da Gamsbock steht“ sang man in Tirol, „Hoch vom Gentis an, wo der Aar noch haust, bis zum Bett, wo die Abone braust“ in der Schweiz, so eng ans Original angelehnt, dass man schon vom Plagiat sprechen müsste, „Von des Rheines Strand, wo die Rebe blüht, bis zur Weichsel, die gen Norden zieht“ erschallte es raumgreifend in Deutschland, dessen Norden die Vogelperspektive wählte: „Von der Ostsee Strand, wo die Möwe zieht…“. Auch fremde Zungen bemächtigten sich der griffigen Model, so in Flandern: „Kent gy wel hed land, waer de vryheid woont“. Und W. Wenhart zeichnete in „Mein Österreich“ hegemoniale Ansprüche, gegen die Dirnböcks Grenzziehungen nahezu bescheiden wirken: „Hoch vom Erzgebirg, wo der Bergmann haust, bis zum Karstgebiet am Meeresstrand“.

Halten wir den Ball flach – allesamt Kinder ihrer Zeit, auch mit Gefühlen übersättigt, die von muffigem, nationalem Überschwang geprägt sind wie er allenfalls heute noch am identitären Paukboden goutiert wird.

Die Landeshymne wird in aller Regel von Blasmusikensembles intoniert, um Festakten offizielles Gepräge zu geben, und sollten es die Umstände nahelegen, dass die Hymne auch gesungen wird, dann gerät die Darbietung in aller Regel zur blamablen Farce – niemand erinnert sich an den Text, der also auch unter dem Aspekt der volksmusikalischen Verwertung zum Vergessen ist.

Warum um alles in der Welt, und sei’s die steirische, dieses Opus, das im Juli 1929 vom Landtag zur steirischen Landeshymne erklärt wurde, zum Verfassungsbestandteil machen? Nur wegen der billigen Spekulation mit patriotischen Emotionen? Und falls ja, was spräche dagegen, bei der Gelegenheit gleich die erste Strophe mit ihren nationalen Grenzüberschreitungen wegzulassen, nach deutschem Vorbild, wo man auch nicht mehr singt „Deutschland, Deutschland über alles…“, sondern „Einigkeit und Recht und Freiheit …“

Wie auch immer, auf jeden Fall erscheint das Gendern des Refrains dringend geboten – dieses schöne Land ist der Steirer:innen und Slowen:innen Land, wenn man schon Wendenland, Sav’ und Drav’ behalten möchte. Sorry, nein … es ist ja Kunasek, der für die steirische Landeshoheit ein Genderverbot erlassen hat!


Bildquelle: Karl-Heinz Liebisch  / pixelio.de

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