Um mit dem Märchen vom Volkskanzler Schluss zu machen: Herbert Kickl hat etwas mehr als ein Viertel der Wahlberechtigten bewegt, für ihn eine gültige Stimme abzugeben. Bezogen auf die Gesamtheit der Wahlberechtigten waren es nur 22 %, die sich bemüßigt fühlten, die FPÖ in den Nationalrat zu wählen.
Das Volk hat sich klar geäußert. Nahezu 80 % wollen Kickl nicht in Regierungsämtern sehen.
Weil dieser Tage so oft vom „Wählerwillen“ die Rede ist, verdient dieses Konstrukt eine Überprüfung auf Plausibilität. Der Wähler bzw. die Wählerin gibt eine Stimme ab oder auch keine, und das ist eine individuelle Entscheidung. Jede:r hat sein/ihr eigenes Motivenbündel, und Komplexität wird durch Vervielfachung nicht einfacher, im Gegenteil.
Das Wahlergebnis, ausgedrückt in Prozentzahlen der abgegebenen gültigen Stimmen in Relation zu allen Wahlberechtigten, ist einfach nur eine Komplexitätsreduktion, die mit einem postulierten Wählerwillen so viel zu tun hat wie der Kaffeesatz mit dem jeweiligen Wahlprogramm.
UHBP hat völlig recht damit, dass der deutlich überwiegende Teil der Bevölkerung keine blauen Flecken in der Regierung wollte. Und die Begründung seiner Ansicht ist plausibel. Bereits vor der Wahl haben alle maßgeblichen Politiker:innen von ÖVP, SPÖ, Neos und Grünen und all die Kleineren auch vielfach dokumentiert, Kickl und seine Getreuen nicht in Regierungsämtern sehen zu wollen. Die Wähler:innen der ÖVP haben sich im Wissen um die klar geäußerte Festlegung Nehammers für Schwürkis entschieden … vielleicht zähneknirschend, vielleicht augenzwinkernd von der Hoffnung getragen, dass er’s nach der Wahl vielleicht eh anders sehen würde, unser Karli.
Wer auf Blau-Schwarz spekuliert und dann Schwarz gewählt hat, hat sich einen Strick gekauft und dann dort erschossen, wo das Wasser am tiefsten ist. Pech gehabt. Erstaunlich ist allenfalls die öffentliche Meinung (wenn man von der medial in anekdotischen Befragungen veröffentlichten Meinung auf so etwas wie eine öffentliche Meinung kurzschließen mag), die immer noch an Kickl als Wahlsieger festhält. Als Fünftel-Popanz der Rechten und recht Gläubigen – Impfgegner & Co.
Wahlsieger sahen früher anders aus, als noch absolute Mehrheiten in Reichweite waren. Heute zählen die Verhandlungsergebnisse mehr oder weniger klug ausgehandelter Kompromisse über trennende Gräben hinweg. Und die ersten, die mit dem lediglich behaupteten, aber demokratisch nicht legitimierbaren „Usus“ gebrochen haben, wonach der stimmenstärksten Partei das Recht aufs Regieren zufiele, waren die FPÖ und die ÖVP, als Jörg Haider die blaue Regierungsbeteiligung bei Wolfgang Schüssel einkaufte, gegen ein paar Minister mehr, an denen wir viel Freude hatten.
Auch die jüngere österreichische Geschichte – Kurz in angemessener Kürze – lehrt uns die Skepsis gegenüber einem allzu deutlich ausgeprägten „Wählerwillen“. Vernunft ist selten vom Entweder-Oder der Standpunkte geprägt, sondern steht immer vor der Herausforderung, das Sowohl-als-Auch unter einen Hut zu bringen.
Bildquelle: Stephanie Hofschläger/pixelio.de