Duelle – Hollywood hat damit Milliarden Dollars gescheffelt. Billions, um Währung und Zahlensystem auf einen Nenner zu bringen. Wyatt Earp, Gary Cooper, Gérard Philippe, d’Artagnan, Donald Trump und Kamala Harris … was sich zu Erfolgsstories verdichten lässt und von passenden Protagonisten verkörpert wird, schrumpft komplexes Weltgeschehen auf handliche Formate, zu denen wir in Beziehung treten können.
Wahlkampfmanager träumen davon. Duelle bringen komplexe Wechselwirkungen und Zusammenhänge auf den Punkt bzw. auf zwei Punkte, und wenn wir schon auf Vereinfachung angewiesen sind, was wäre verlockender, als die atavistische Urform von Komplexitätsreduktion aufleben zu lassen: Er oder ich? Oder, in der gegenderten Gegenwart: Sie:Er oder ich.
Dass die Wirklichkeit anders aussieht, wissen wir ohnedies. Das Weltgeschehen orientiert sich nicht am Ausgang eines Rededuells österreichischer Politiker. Ich war geneigt zu schreiben: Provinzpolitiker. Und selbst das nationale Geschehen in der Alpenrepublik hängt erheblich stärker von unseren multilateralen Einbindungen ins globale Getriebe ab als es sich unsere Volksvertreter:innen eingestehen. Da gerät die faktische Auswirkung eines solchen Duells rasch in Bereiche jenseits der Wahrnehmbarkeit.
Nun treten die Kontrahent:innen nicht gegeneinander an, um die Welt zu bewegen. Es gilt das alte Grundgesetz von Public Relations, es geht darum, sich um Sympathie und Vertrauen zu bewerben. Vor allem bei denen, die noch zu bewegen sind. Wer vor dem Duell schon hohe Wetten auf seine:n Sieger:in abschließen würde, sucht vor allem die Bestätigung seiner schon getroffenen Vorentscheidung.
Braucht es für solche Entscheidungshilfen die Konfliktfigur des Duells? In Duellen wird mit Pulver und Blei aufeinander geschossen oder mit dem Degen aufeinander eingestochen. Im Setting geistiger Auseinandersetzung punkten die Waffen der besseren Argumente und, wie wir aus der Werbewirkungsforschung lässt wissen, der Erfolg, die größere Gemütsbewegung zu generieren.
Duelle nach archaischem, satisfaktionsfähigem Format enden in der Regel mit dem vitalen oder zumindest sozialen Untergang eines Kontrahenten. Fernsehduelle werden durch die Ergebnisse der Meinungsforschung entschieden. Ein klarer Fortschritt, möchte man meinen.
Oder wird hier das grundlegende Konstrukt des Duells – es kann nur einen geben – überhaupt verlassen? Wie nützlich ist in einer komplexen Meinungs- und Sympathiegesellschaft die Deklaration von Siegern und Unterlegenen?
Wie in jedem komplexen Kontext sind die Prognosen über die Auswirkungen einer Momentaufnahme des Beziehungsgewebes von Wahlwerbenden so verlässlich wie der Wetterbericht. Bei stabilen Großwetterlagen ist die Vorhersage keine Kunst, es sei denn, es ginge um Details.
Um die kann es allerdings durchaus gehen im Österreich von 2024. Wenn Platz zwei oder drei bei der bevorstehenden Nationalratswahl angepeilt wird, können Zehntelprozentpunkte entscheiden, welche Regierung wir in den kommenden fünf Jahren haben werden.
Nehammer und Basler jeweils im Duell mit allen anderen, Nehammer im Duell mit Babler – da kann noch viel geschehen, was die spin doctors nicht einpreisen konnten. Von Duell zu Duell treten verstärkende, auch selbstverstärkende Effekte ein, die nur zu geringem Teil der angestrebten Wirkung der Duellant:innen entsprechen.
Für komplexe Systeme, wie hier eines vorliegt, sind das keine Peanuts. Bei Einzelduellen von allen mit allen ist die Zahl der unwägbaren Effekte erheblich größer als bei einer „Elefantenrunde“. Zumal die Chronologie der Einzelduelle zusätzliche Wirkungen und Gegenwirkungen zeitigt, zudem durch entlang die Zeitachse einiger Tage begleitende Kommentierung von außen modifiziert.
Nicht gering zu schätzen bei hochgradig komplexen Systemen, die auf scheinbar geringe Modifikationen der Ausgangsbedingungen empfindlich reagieren können .… Stichwort Schmetterlingseffekt.
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